Jedes Jahr, vom 25. November bis zum 10. Dezember, setzen sich über 250 Organisationen in der Schweiz gemeinsam gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein. Simone Blunier, Oberärztin Notfallstation, erklärt, mit welchen Gewaltformen sie bei Patientinnen und Patienten im Spital Emmental konfrontiert ist und wie sie und ihr Team die Betroffenen unterstützen.
Text: Text: Teresa Schmidt • geprüft von Dr. med. Simone Blunier, Oberärztin Chirurgischer Notfall
Die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» findet weltweit in 187 Ländern statt. Im Jahr 2024 liegt der Fokus auf dem Thema «Wege aus der Gewalt». Vom 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, informiert und sensibilisiert die Kampagne.
«Auf dem Notfall des Spitals Emmental sind wir mit allen Gewaltformen konfrontiert. Am häufigsten behandeln wir Folgen von körperlicher Gewalt (Schläge/Tritte/Würgen usw.). Auch psychische Gewalt kommt vor, wobei hier meistens Kolleginnen und Kollegen der Psychiatrie involviert sind. Betroffene von sexuellen Übergriffen schicken wir direkt in die Frauenklinik Bern, da dort eine interdisziplinäres Behandlungskonzept (Gynäkologie, Rechtsmedizin, Infektiologie) besteht», berichtet Simon Blunier von ihren Erfahrungen und Eindrücken auf dem Notfall des Spitals Emmental.
Geschlechtsspezifische Gewalt fängt bei Alltagssexismus an und endet mit Femiziden. Als Femizide bezeichnet man die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit. Gewalt gegen Frauen ist aber allgegenwärtig und wird in den meisten Fällen von Männern ausgeübt. Die Täter stehen den Frauen oftmals sehr nahe: Partnerschaftsgewalt ist die häufigste Gewaltform und umfasst körperliche, sexualisierte, emotionale, ökonomische und psychische Gewalt. Gewalt in Partnerschaften beginnt häufig mit verbaler Gewalt, die anfangs oft nicht als Gewalt erkannt wird, und eskaliert zunehmend in einer «Gewaltspirale». Femizide sind die extreme Form dieser Gewalt.
Die Gewaltfälle sind auch in der Schweiz hoch, wie Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik PKS 2023 und vom Bundesamt für Statistik zeigen:
Die überwiegende Mehrheit aller Frauen erfährt mindestens einmal in ihrem Leben geschlechtsspezifische Gewalt. Gewalt bedeutet, dass die Bedürfnisse und Grenzen der Betroffenen ignoriert oder bewusst übergangen werden. Gewalt kann dabei verschiedene Formen haben und es ist nicht immer leicht, Gewalt als solche zu erkennen. Körperliche Gewalt, von der Ohrfeige bis zum Messerstich, ist leichter zu erkennen als psychische Gewalt, die darauf abzielt die Selbstsicherheit und das Selbstbewusstsein eines Menschen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
«Gewalt kann tiefgreifende Folgen auf das Leben eines Menschen haben und zu psychischen und sozialen Beeinträchtigungen führen. Insbesondere psychische Gewalt, die oft subtil und schwer erkennbar ist, wirkt sich nachhaltig auf die Betroffenen aus und kann das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein aus dem Gleichgewicht bringen. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Notfallmedizin und der Psychiatrie ist entscheidend, um den Betroffenen umfassend Unterstützung bieten und Wege aus der Gewaltspirale aufzeigen zu können», erklärt Michael Strehlen, Chefarzt Psychiatrie.
«Um allen Formen von Gewalt entgegenwirken zu können und die Betroffenen zu unterstützen, arbeiten wir interdisziplinär, beispielsweise mit der Psychiatrie, zusammen. Wir versuchen einen sicheren Rahmen für die Opfer von Gewalt zu schaffen und ihnen aufzuzeigen, welche Fachgebiete im Spital und welche Institutionen ausserhalb für sie da sind», ergänzt Simone Blunier.
Jede Gewalterfahrung ist anders und sehr individuell. Genauso ist es auch der Weg heraus aus der Gewaltspirale. Fehlende finanzielle Ressourcen, Behinderungen, Rassifizierung, Transidentität und Alter beeinflussen die Gewalt zusätzlich und machen Personen verletzlicher. «Als Ärztin finde ich es sehr wichtig, dass wir gegenüber dem Erkennen von Gewaltfällen sensibler werden. Gewalt führt in allen Formen schweren körperlichen, psychischen und sozialen Folgen weshalb es wichtig ist, das Thema offen anzusprechen und Hilfe anzubieten. Dies in der Hoffnung, dass der Weg aus der Gewalt irgendeinmal gelingen wird.»», erklärt die Notfallärztin weiter. Besonders wichtig ist der Umgang der Gesellschaft mit Gewalt: Geschlechtsspezifische Gewalt, inklusive der Gewalt und der Tötungen innerhalb von Partnerschaften, muss als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt werden.
Um Gewalt erkennen zu können, braucht es eine gute Beobachtungsgabe. Wenn der Verdacht besteht, dass eine Person Opfer von Gewalt ist, empfiehlt es sich, das Gespräch zu suchen und Unterstützungsmöglichkeiten zu besprechen. Betroffene haben jederzeit die Möglichkeit sich an eine der Opferberatungsstellen zu wenden.
Das Spital Emmental positioniert sich gegen jegliche Form von Gewalt, unabhängig von Geschlecht, Kultur und Alter.
Hilfsangebote für Betroffene
|