Was tut eine Ärztin, die ihren Beruf liebt, sich mit dem Skalpell aber nicht wohlfühlt? Sie wird Anästhesistin, arbeitet auf dem Notfall und ist zudem Notärztin beim Rettungsdienst Emmental-Oberaargau. Simone Blunier erzählt, wie sich ihr Berufsweg ergeben hat und welche Faszination die Notfallstation immer wieder auf sie ausübt.
Text: Teresa Schmidt • Geprüft von: Dr. med. Simone Blunier, Oberärztin Chirurgischer Notfall
Aufgewachsen im Emmental, studierte Simone Blunier in Bern Medizin und hat nach dem Studium ihre erste Assistenzstelle auf der Chirurgie im Spital Emmental in Langnau angetreten. «Ich habe gemerkt, dass der Arztberuf die richtige Entscheidung war, mit dem Skalpell fühlte ich mich aber nicht richtig wohl», erzählt Dr. med. Simone Blunier, Oberärztin chirurgische Notfallstation, FMH Anästhesie, ISP Klinische Notfallmedizin und FA Notarzt SGNOR.
Während einer einmonatigen Pause entschied sie sich, in Langnau auf dem Notfall reinzuschnuppern und war augenblicklich fasziniert von der Notfallmedizin. Nach einer einjährigen Anschlussstelle auf der Orthopädie im ehemaligen Zieglerspital wechselte sie ins Inselspital und begann die Facharztausbildung zur Anästhesistin. Diese beinhaltete auch eine Rotation bei der Sanitätspolizei, einem Bereich von Schutz und Rettung Bern. 2010 folgte eine Rotation zur Rega in Belp: «Das ist quasi der heilige Gral der Notarztmedizin, und ich fand es absolut spannend und faszinierend. Aus medizinischen Gründen war es mir jedoch nicht möglich, weitere Rotationen zu absolvieren», erklärt Simone Blunier weiter.
Mit der Geburt ihres Kindes 2012 wurde es zunehmend schwieriger, den Schichtbetrieb auf der Anästhesie leisten zu können – die Nachtschichten liessen sich nur schwer mit dem Familienleben vereinbaren. Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, entschied sich Simon Blunier für einen Wechsel auf den Notfall im Inselspital Bern und arbeitete weiterhin als Freelancerin bei der Sanitätspolizei. Als sie alleinerziehend wurde und die zusätzliche Belastung der Wochenenddienste organisieren musste, bewarb sie sich spontan beim Notfall im Spital Emmental am Standort Burgdorf. So wechselte sie während der Pandemie vom Inselspital ins Spital Emmental, wo sie mit der Co-Leitung des Impfzentrums in Langnau betraut wurde.
«Das Leiten des Impfzentrums hat mir, natürlich auch dank der Unterstützung eines hervorragenden, motivierten Teams, enorm viel Freude bereitet und ich bin in dieser völlig neuen Rolle aufgegangen und gewachsen», blickt die Oberärztin zurück. Heute arbeitet Simone Blunier Teilzeit auf dem Notfall in Burgdorf – mehrheitlich für die Chirurgie – sowie als Notärztin beim Rettungsdienst Emmental-Oberaargau.
Der Notfall übt noch immer die gleiche Faszination aus wie zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn: «Das Spannende am Notfall ist, dass ich nie weiss, was mich an meinem Arbeitstag erwartet: Jeder Tag ist anders. Als Alleinerziehende bin ich es gewohnt, meinen Alltag gut zu planen und zu strukturieren, sodass der Notfall auf den ersten Blick gar nicht so zu mir passt. Vielleicht ist es aber gerade dieses Gegenstück zu meiner Persönlichkeit und meinem Privatleben, was es so interessant macht. Was wir merken ist, dass sich heute mehr Menschen auf dem Notfall vorstellen als noch vor einigen Jahren. Eine optimale Ressourcenplanung wird somit immer wichtiger.»
Dazu gehört auch ein gut funktionierendes Team. «Für die Arbeit auf dem Notfall muss man geschaffen sein», und es ist für Simone Blunier wichtig und schön zu wissen, dass jedes Teammitglied sich mit Fragen und Anliegen einbringen kann. «Wir sind ein kleines Team, das sich gut kennt und damit auch eine gute Vertrauensbasis hat. Diese braucht es auf der Notfallstation, auch um Emotionen zulassen und abfangen zu können», fasst Simone Blunier den Alltag auf dem Notfall zusammen.
Damit das Team gut funktionieren kann, braucht es zudem eine gute Infrastruktur und die enge Zusammenarbeit mit ‹Partnern› wie dem Labor, der Radiologie, dem Rettungsdienst etc. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Abstimmung zwischen Ärzteschaft und Pflegefachpersonen funktioniert und die Patientinnen- und Patientenbetreuung reibungslos abläuft.
Simone Blunier erklärt die Abläufe auf dem Notfall wie folgt: «Unsere Patientinnen und Patienten werden am Empfang aufgenommen und dann von unseren Pflegefachpersonen anhand des ESI-Triage-Systems nach dem Schweregrad resp. den benötigten Ressourcen ihres Notfalls eingeschätzt. Wenn eine Patientin oder ein Patient in Stufe eins oder zwei (Lebensgefahr oder Hochrisikosituation) eingeteilt wird, dann kommen wir als Kaderärztinnen und -ärzte umgehend zur Patientenbeurteilung und Besprechung von ersten Massnahmen mit hinzu. Gleiches gilt, wenn wir Patientinnen und Patienten mit dem Rettungsdienst zugewiesen bekommen. Alle anderen Fälle werden primär von unseren Assistenzärztinnen und -ärzten sowie den Pflegenden, natürlich immer in Rücksprache mit dem Kaderarzt oder der Kaderärztin, betreut.»
Auf die Veränderungen im Notfall angesprochen, sagt Simone Blunier, dass die Erwartungen an die Behandelnden gestiegen sind. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit trägt dazu bei, dass die Behandlungen schneller gehen sollten, die Genesung rascher voranschreiten und die Betroffenen rascher wieder 100 Prozent fit sein müssen. «Hier sind wir als Notfallmediziner gefordert, dass wir Verständnis für die Patientensituation aufbringen, die Situation realistisch einschätzen und Behandlungen in die Wege leiten, die natürlich zu einer zügigen Genesung führen, aber auch evidenzbasiert und nach den neusten Richtlinien sind», sagt Simone Blunier.