Auf der Notfallstation: Akut versorgt, ambulant betreut
Nicht jeder Besuch in der Notfallstation endet zwangsläufig in einem Spitalbett. Im Gegenteil: Immer häufiger können Patientinnen und Patienten nach der Erstuntersuchung wieder nach Hause entlassen werden – dank der akut-ambulanten Sprechstunde.
Text: Anja Gerber • Geprüft: Dr. med. Neal Breakey, Oberarzt Medizin

Blaulicht und Sirenen gehören zum Alltag in der Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten, und die Notfallmedizin ist oft von raschen, lebenswichtigen Entscheidungen geprägt. In den ersten Minuten nach Ankunft in der Notfallstation werden bei akut erkrankten Personen kritische Weichen gestellt: Triage, Diagnostik, erste Behandlungsschritte – all dies erfordert höchste Expertise und schnelles Handeln. Doch genauso wichtig sind die Entscheidungen am anderen Ende des Behandlungspfades: Benötigt die Patientin oder der Patient einen stationären Aufenthalt oder kann die Person mit der richtigen Nachsorge sicher nach Hause entlassen werden?
Akut-ambulante Sprechstunde als Entlastung
Die akut-ambulante Sprechstunde setzt genau hier an und nutzt die besondere Kompetenz der Notfallmedizin für eine differenzierte Risikoeinschätzung und sichere Entlassungsplanung. Sie bietet eine entlastende Alternative zum stationären Aufenthalt und ermöglicht einen nahtlosen Übergang zwischen Notfallversorgung und ambulanter Weiterbetreuung. Die Sprechstunde ermöglicht es, die Entwicklung von Symptomen über Zeit zu verfolgen, gezielt notwendige Untersuchungen zu organisieren und auszuwerten und bei Bedarf schnell zu reagieren, falls sich der Zustand ändert. Point-of-Care-Diagnostik steht dabei zur Verfügung, um wichtige Informationen direkt zu erhalten.
Die Entscheidung über den weiteren Behandlungspfad basiert auf dieser umfassenden Beurteilung und berücksichtigt den individuellen Krankheitsverlauf. «Unser Ziel ist es, eine sichere und praktische Alternative zu einem stationären Aufenthalt zu bieten. Dies ermöglicht, dass Patientinnen und Patienten Stunden anstelle von Tagen im Spital verbringen», betont Neal Breakey, Oberarzt Medizin in Burgdorf.
Ein Angebot, das überzeugt
An fünf Vormittagen pro Woche findet die akut-ambulante Sprechstunde im medizinischen Ambulatorium des Spitals Emmental statt. «Die Rückmeldungen der Patientinnen und Patienten sind durchwegs positiv. Viele sind dankbar für die Möglichkeit, nicht im Spital bleiben zu müssen», sagt Nadine Oppliger, leitende Medizinische Praxisassistentin (MPA) der Sprechstunde. Gemeinsam mit zwei weiteren MPAs hat sie die administrative Verantwortung der Sprechstunden.
Den Patientinnen und Patienten gibt das Angebot Sicherheit und Entlastung. Viele empfinden es als beruhigend, nach einem Notfallbesuch rasch erneut untersucht zu werden. Besonders wertvoll ist dabei die ruhigere Atmosphäre in der Sprechstunde, die mehr Raum für Gespräche bietet. Nach dem oft hektischen Geschehen im Notfall haben Patientinnen und Patienten hier die Möglichkeit, in Ruhe Fragen zu stellen, die ihnen vielleicht erst später eingefallen sind, oder Unklarheiten zu besprechen. Diese Gespräche und Erklärungen sind dabei genauso bedeutsam wie die modernen diagnostischen Hilfsmittel, die zum Einsatz kommen.

«Als MPA erlebe ich hier andere Situationen und Behandlungsfälle als sonst im Praxisalltag. Das macht die Arbeit spannend und abwechslungsreich.»
Nadine Oppliger
Medizinische Praxisassistentin
Ein besonderer Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt in der guten Vernetzung des Teams im gesamten Spital. Durch die enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Abteilungen können Untersuchungen koordiniert werden, die sonst mehrere separate Termine erfordern würden. Die kurzen Wege und das kollegiale Miteinander im Haus ermöglichen es, schnell Fachkolleginnen und -kollegen hinzuzuziehen und nötige Abklärungen effizient zu organisieren. Diese praktische Teamarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen spart Zeit und zusätzliche Spitalbesuche.
Neue Möglichkeiten dank moderner Technologien
Besonders für ältere Personen bringt die akut-ambulante Sprechstunde Vorteile mit sich. Ein Spitalaufenthalt kann besonders bei betagten Menschen das Risiko eines Delirs erheblich erhöhen. Die Möglichkeit, in der gewohnten Umgebung zu bleiben, ist deshalb ein grosser Vorteil. «Gerade in der Behandlung von älteren Patientinnen und Patienten – besonders auch in Zusammenarbeit mit Pflegediensten und Langzeitinstitutionen – tut sich in der Notfallmedizin einiges», sagt Neal Breakey und berichtet von neuen Ansätzen, um die notfallmedizinische Versorgung flexibler zu gestalten: «Dabei kommen Fähigkeiten und Geräte zum Einsatz, die im Notfall alltäglich sind – mit dem Unterschied, dass die neuen Technologien kleiner und portabel sind», erläutert Breakey. «Die Sprechstunde ist ideal, um neue Technologien zu erproben. Diese liefern uns wichtige Bausteine für die Zukunft, in der wir die notfallmedizinische Versorgung mobiler gestalten wollen. Für die Diagnostik nutzen wir bereits heute Geräte, die problemlos in der klassischen Arzttasche Platz finden – sowohl tragbare Ultraschallgeräte als auch kompakte Laborgeräte für schnelle Blutanalysen direkt am Behandlungsort.»

«Bis Ende letzten Jahres war das Spital Emmental am Projekt ‹Remote Care Emmental› beteiligt, bei dem wir telemedizinische Betreuungskonzepte für Pflegeeinrichtungen in der Praxis erprobt haben», erklärt Breakey und fährt fort: «Im Rahmen dieses Projekts haben wir untersucht, wie Vitalparameter wie Puls und Blutdruck erfasst und in Echtzeit mit dem Spital geteilt werden können. Auch ein digitales Stethoskop, ein portables Ultraschallgerät und eine hochauflösende Kamera kamen zum Einsatz, um eine detaillierte Dokumentation der Situation zu ermöglichen und dadurch eine solide Grundlage für die Beurteilung des Gesundheitszustandes zu schaffen.» Das Spital pflegt nach Abschluss dieses Evaluationsprojekts weiterhin Kontakt mit dem «Swiss Centre for Care@home».

«Wir sind laufend daran, neue Möglichkeiten zu eruieren, sodass wir eine Behandlung dort ermöglichen können, wo sie für die Patientinnen und Patienten sicher und zugleich vertraut ist», schliesst Neal Breakey ab.
Neal Breaky
Oberarzt Medizin
Damit bringt die Notfallmedizin ihre besondere Expertise – schnelle Entscheidungsfindung unter Unsicherheit, effiziente Diagnostik und Behandlung – direkt dorthin, wo sie am meisten benötigt wird.