Werden wir operiert, bekommen wir gewöhnlich nichts davon mit. Und weh tut es auch nicht. Das verdanken wir den Fortschritten der Anästhesie. Vor nicht allzu langer Zeit ging es bei Operationen aber noch ganz schön heftig zu. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Anästhesie.
Text: Patrick Steinemann/Julia Guran • Geprüft von: Dr. med. Patrick Wettstein, Chefarzt Anästhesie
Sanft dösen wir weg und bekommen von der Operation meistens nichts mit – oder zumindest nicht viel. Narkosen sind heute dank Fortschritten in der Anästhesie eine sichere Sache: Wir atmen noch etwas Sauerstoff über die Maske, erhalten ein Schlafmittel in die Vene – und schon sind wir weg. Schmerzen spüren wir gewöhnlich keine, und nach dem Erwachen erinnern wir uns an nichts. Auch Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Verwirrung kommen immer seltener vor.
«Was bleibt, ist der Respekt vor der Sache», sagt Patrick Wettstein, Chefarzt Anästhesie. «Daher werden die anstehende OP und Narkose gut geplant und besprochen.» Gründe, sich davor zu fürchten, gibt es heute kaum mehr.
Es ist noch gar nicht lange her, dass Patientinnen und Patienten allen Grund hatten, vor einem chirurgischen Eingriff zu zittern. Als Narkosemittel diente Alkohol, wenn überhaupt. Die Schmerzen waren höllisch, Blutungen häufig. Kräftige Arztgehilfen hielten die Patienten fest, während der Chirurg schnitt. Je schneller er arbeitete, desto besser, und das ging häufig zulasten der Präzision.
Mit der Operation war die Sache aber noch nicht ausgestanden. Wegen der schlechten Hygiene infizierten sich die Wunden. Viele Patientinnen und Patienten starben.
Im 19. Jahrhundert machte die Chirurgie grosse Fortschritte. Zum einen besserte sich die Hygiene, zum anderen experimentierten Ärzte erfolgreich mit Schmerz- und Betäubungsmitteln. 1842 gelang in Boston der erste chirurgische Eingriff unter Äthernarkose. Ärzte unternahmen auch Selbstversuche, zum Beispiel der Zahnmediziner Horace Wells. Er soll 1844 Lachgas eingeatmet haben, als er sich einen Zahn ziehen liess. Dieses wirkt schmerzlindernd und leicht betäubend. Der Fortschritt hatte allerdings seinen Preis. Manche Patienten erfuhren erst nach der OP, was man an ihnen ausprobiert hatte …
Auch der Kieler Chirurg August Bier und sein Assistent August Hildebrandt wagten einen Selbstversuch. Sie gelten als Erfinder der Spinalanästhesie. Und das kam so: 1898 injizierten sie sich gegenseitig Kokain ins Rückenmark. Danach stellten sie fest, dass selbst ein Hammerschlag aufs Schienbein ihnen keine Träne entlockte.
Als eigenständige Disziplin hat sich die Anästhesiologie allerdings erst in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts etabliert. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, Patienten Schmerzen und negative Erinnerungen zu ersparen, indem sie ihr Bewusstsein vorübergehend ausschaltet.
Äther hat sich seither als Narkosemittel etabliert. Allerdings ist es wegen seiner Nebenwirkungen in Verruf geraten: «Das Gas war sehr schwierig zu dosieren und zu kontrollieren», sagt Patrick Wettstein. «Ausserdem litten die Patienten danach allesamt unter Übelkeit.»
Dieses und andere frühere Narkosemittel sind glücklicherweise passé. Heute setzen Anästhesisten angenehmere Substanzen ein. «Die modernen Narkosemittel sind viel besser verträglich und leichter zu steuern», sagt Patrick Wettstein: «Wir können jederzeit bestimmen, wie rasch und wie intensiv die Narkose wirkt. Umgekehrt können wir Patientinnen und Patienten auch rasch wieder erwachen lassen.» Das erhöht die Sicherheit, wenn der Patient die OP-Umgebung verlässt.
Die Vollnarkose ist zudem längst nicht mehr die einzige Option. «Zahlreiche Verfahren erlauben es, die Narkose auf die Patienten und den jeweiligen Eingriff abzustimmen», sagt Patrick Wettstein. Dazu zählen etwa die Spinalanästhesie («Teilnarkose») sowie verschiedene Techniken der Regionalänästhesie.
Insgesamt lässt sich der Zustand des Patienten heute viel besser kontrollieren als früher: Herzfrequenz, Hirnströme und Blutdruck werden ebenso überwacht wie die Muskelspannung oder die Körpertemperatur. Über den Beatmungsschlauch erhöhen die Anästhesisten den Sauerstoffanteil der Narkosemischung. So genügt es beispielsweise auch, wenn bei einem Lungeneingriff nur ein Lungenflügel Sauerstoff erhält.
Komfort und Sicherheit haben also einen sehr hohen Stellenwert. Ein gewisses Risiko und die eine oder andere Nebenwirkung lassen sich aber auch heute nicht ausschliessen. Mit dem Blick in die Vergangenheit sind die Risiken jedoch äusserst gering.
Patrick Wettstein, Chefarzt Anästhesie |
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Anästhesie am Spital Emmental |
Am 16. Oktober 1846 nahm William Thomas Green Morton die erste öffentliche Operation unter Narkose vor. Der Zahnmediziner aus den USA hatte seinen Patienten mit Äther betäubt, um ihm ein Geschwür am Hals zu entfernen.
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